Mit Roman habe ich wenig geredet, meist nur, wenn er zu mir ins Auto stieg und ich von der Suche nach den Spiellokalen unserer auswärtigen Gegner abgelenkt war. Von sich aus ergriff er nur selten das Wort, vielleicht, weil er sich seines Akzents schämte. Aber wenn er sich mal in die Gespräche einmischte, merkte man, wie strukturiert er dachte: Er begann oft mit Formulierungen wie „Dazu möchte ich drei Dinge sagen, erstens ...“. Auch in unserem letzten Gespräch bei Tee und frisch gebackenen Waffeln im so freundlich geführten Hospiz in Bövinghausen stellte er munter fest, dass es seiner Ansicht nur 5 Schachgenies gegeben habe unter den Weltmeistern, zeigte er mit den Fingern an, um dann weiter auszuholen: Capablanca rechne er dazu, Aljechin, Tal, Fischer und Kasparow. „Euwe nicht!“

Roman deutete oft differenzierte Positionen an, aber im Stress der Mannschaftskämpfe kam es dann doch nie dazu, sich ausführlicher zu erklären. Erst an seinem Krankenbett war Gelegenheit, ihn zu befragen, erst hier erfuhr ich von seiner Sehnsucht nach dem wunderbaren Obst der Heimat, nicht zu vergleichen mit den geschmacklosen Früchten aus dem hiesigen Supermarkt. Odessa fehlte ihm wie sein Beruf als Jurist, den er in Deutschland nicht mehr ausüben konnte. Von der Ukraine sprach er desillusioniert als einem Land, das wohl niemals den Standard Deutschlands würde erreichen können, von Korruption und Unterentwicklung. Vor knapp 18 Jahren war er mit seiner Familie in Deutschland angekommen und hatte mit den trostlosen Aussichten auch seinen Beruf, seine Sprache zurückgelassen.

Unsere Wege am Schachbrett haben sich wohl nur einmal, auf der Vereinsmeisterschaft im Juni 2013 in der Kaktusfarm, gekreuzt. Ich habe kaum Erinnerungen an die Partie, nur, dass mein Offensivgeist bald umsichtig in die Schranken gewiesen wurde und ich sogar froh sein durfte über ein Remisangebot. Später saßen wir dann jahrelang nebeneinander in den Mannschaftskämpfen, schauten einander über die Schulter, natürlich auch, ohne viel zu reden. Gelegentlich wehte mich die Ahnung an, dass da einer seine Speisen gern mit Knoblauch würzte. Dann wusste ich, dass Roman hinter mir stand und sich ein Urteil über die Stellung bildete. 3. Mannschaft WeihnachtDie Zugehörigkeit zur Mannschaft war ihm wichtig; er bat mich eindringlich um das Foto der Dritten (die wir damals noch bildeten) auf der Weihnachtsfeier und bedankte sich, als ich das mit der üblichen technischen Unbeholfenheit endlich hinkriegte.

Sein Schach kommentierte Roman mit einer wegwerfenden Handbewegung. Aber er verfolgte den Werdegang der Vierten genau, sandte Glückwünsche aus dem Krankenhaus, und natürlich wusste er auch genau über Igors Partien Bescheid. 

Roman Igor Polina

Das Foto zeigt ihn mit seinem Sohn in jungen Jahren, unter den wachsamen Augen seiner Tochter, die dann allerdings nicht für das königliche Spiel entbrannte. Gewiss war er Igors erster und auch stolzer Trainer, auch als ich ihn im Hospiz besuchte, zeigte er sich genau informiert über dessen Pokalpartien und seinen Einzug ins diesjährige Finale. 

Erst als ich mich länger mit ihm unterhalten konnte, nicht abgelenkt von der Unruhe der Mannschaftskämpfe, fiel mir auf, wie genau er sich merkte, was man früher gesagt hatte: Er war ein viel aufmerksamerer Zuhörer, als sein auf den Verkehr konzentrierter Fahrer oder von der Organisation des Kampfes abgelenkte Mannschaftsführer. Seine Mails an mich waren immer kurz, aber immer beruhigend: „Christian, ich kann spielen.“. Wer als Mannschaftsführer die Sorge kennt, nicht in voller Besetzung antreten zu können, wird nachvollziehen können, wie sehr mir seine bescheidene Zuverlässigkeit fehlt.