Spasski Herbst 1973

Die Kippe lässig im Mundwinkel, der Blick konzentriert auf das Brett vor ihm gerichtet: Ex-WM Boris Spasski bei einer seiner Partien in der Sowjetischen Meisterschaft 1973 in Moskau. Noch ist die Zigarette nicht entzündet, die Uhr - international renommiert: GARDE aus deutscher Produktion - zeigt fünf vor zwölf, doch Spasski hat keine Eile, sein Gegner hat schon mehr Zeit verbraucht. Neben sich die Packung Zigaretten auf dem Tisch, ein Aschenbecher steht bereit, doch kein Feuer zur Hand. Spasski droht.

Er droht zu rauchen, droht in der gegnerischen Stellung zu zündeln, den weißen König auszuräuchern, dessen Festung abzufackeln. Nichts anbrennen lassen. Keine seiner Schwarzpartien hat Spasski in diesem Turnier verloren, drei sogar gewonnen. Im Hintergrund lässt sich das enorme Publikumsinteresse erahnen, die Crème-de-la-Crème des Sowjet-Schach war bei diesem Turnier vertreten: Neben jenem Gentleman im modischen Sakko auch die weiteren ehemaligen Weltmeister Tal, Smyslow, Petrosian und die "ewigen Zweiten" Kortschnoi und Keres, insgesamt 18 Teilnehmer. 17 Runden jeder gegen jeden, einen Monat lang, und am Ende siegte Spasski mit einem Punkt Vorsprung auf den Zweitplatzierten Karpow, der der nächste Weltmeister werden sollte. Vielleicht eine kleine Genugtuung für Spasski, der sich 1972 nach dem Verlust des WM-Titels gegen Fischer Kritik seines Schachverbandes ausgesetzt sah. Und eine Revanche gegen Karpow, der ihm im April noch eine der beiden Schwarzniederlagen in diesem Jahr zugefügt hatte. Die andere Schlappe musste er Mitte des Jahres 1973 gegen Hans-Joachim Hecht einstecken. Da war Spasski in Dortmund als Teilnehmer der Internationalen Deutschen Meisterschaft. Das Turnier gewann dann auch Hecht sensationell, punktgleich mit Spasski, der nach Feinwertung Dritter wurde. Im Anschluss an das Meisterturnier wurde noch ein Turnier - ohne Spasski, aber mit internationaler Besetzung - gespielt: Die Dortmunder Schachtage hatten ihre Premiere. Da war Spasski schon wieder unterwegs und bereitete sich auf die Europäische Mannschaftsmeisterschaft vor, die sein Team souverän gewinnen konnte. Doch jetzt, im Herbst 1973, sind das alles seine Gegner im Kampf um die nationale Meisterschaft. Hat jemand Feuer? Die letzte Zigarette ist geraucht: Am 27. Februar starb Boris Spasski. Er wurde 88 Jahre alt.

 

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