Dadada-daaah! Dadada-daaah. Wer kennt sie nicht, die Eingangs-Tonfolge zu Beethovens Fünfter Symphonie. Musiker nennen eine solche Abfolge von Tönen ein Motiv. In Beethovens Fünfter geradezu ein Leit-Motiv, welches sich in unzähligen Variationen durch seine gesamte Symphonie zieht.

In den optisch orientierten Künsten spricht man von einem Bildmotiv, das den Künstler gefangen nimmt und ihn dazu treibt, es mit Pinsel, Zeichenstift oder Kamera festzuhalten: glutrote Sonnenuntergänge, ein röhrender Hirsch, die Kreuzigung Christi oder eine rassige Zigeunerin – um nur ein paar der gängigsten oder verkaufsträchtigsten Motive zu nennen. Das Motiv wiederum, sich ein bestimmtes und eben kein anderes Bildmotiv auszusuchen, unterliegt durchaus ethischen Erwägungen innerhalb der interessierten Öffentlichkeit. Bei den meisten Göttinnen-der-Jagd-Jägern, Diana-Jägern also, dürfte ihr Motiv für ihre Motiv-Auswahl allerdings reine Geldgier sein. Oder wer hätte schon mal von einem Paparazzo gehört, der – finanziell ausgesorgt habend – nur noch aus rein künstlerischem Vergnügen zu einer seiner vielen Kameras gegriffen hätte nach dem Motto:

Krieg´ ich heut´ nichts vor die Linsen / Ja dann stört´s mich nich´ die Bohne /
Geht der Auftrag in die Binsen / Na dann knips ich eben ohne //

(Man beachte übrigens die zwangslos eingearbeitete Nennung zweier Hülsenfrüchte und eines gewässernahen Grases in diesem Vierzeiler)

In der Literatur gehen die Begriffe Motiv und Thema oft fleßend ineinander über.
Gemeint ist damit – abstrakt gesehen - das Schema eines Handlungsstrangs mit konkreten Motiven wie beispielsweise Schuld und Erlösung, feindliche Brüder, Dreiecksbeziehungen, unglückliche Liebschaften und andere mehr.
Im Spezial-Genre Krimi, medienübergreifend in Literatur und Film, haben wir es meist mit dem Motiv des Verbrechens, welches ans Licht kommt und der Trias Täter, Opfer und Ermittler zu tun (Beispiele aus der Hoch-Literatur sind Sophokles´ „Oedipus“ oder Dostojewskis „Schuld und Sühne“). Oft finden wir die Tabu-Überschreitung des Täters anziehend und faszinierend, weil er wagt, was wir uns selbst im richtigen Leben nicht trauen (Stichwort „Der Schwiegermuttermörder“ von Jürgen von Manger, um ein in den Sechzigern vielbeachtetes Beispiel aus der Region zu geben). Gleichzeitig identifizieren wir uns aber mit dem Opfer und seinem Leid. Die Aufdeckung der Tat (mitsamt des Täter-Motivs!) stillt unsere Neugierde und stellt schlußendlich unseren Seelenfrieden durch Überführung des Schuldigen wieder her, weil dadurch unser Strafbedürfnis für manchen eigenen gedanklichen inneren Tabubruch befriedigt wird.
Erwähnenswert ist noch der Indizienbeweis, namentlich im angelsächsischen Rechtssystem: drei Dinge gelten als erforderlich, wenn keine verwertbare Zeugenaussage vorliegt - Motiv, Gelegenheit, Tat-Mittel. Konkret hieße dies zum Beispiel: Habgier, fehlendes Alibi zur Tatzeit und Besitz einer Waffe mit einem bestimmten Kaliber o.ä. Man sieht auch hier wieder: Ohne Motiv geht es nicht!

Im Schach finden wir den Begriff des Motivs überwiegend mit dem Element Taktik verbunden. Zur Erinnerung; eine Schachpartie kann drei Phasen aufweisen – Eröffnung, Mittelspiel, Endspiel. In jeder dieser drei Phasen können positionelle-strategische oder taktische Überlegungen eine Rolle spielen. Taktische Motive sind bekanntlich Doppelangriff, Fesselung, Abzugsangriff, Ablenkung, Hinlenkung und Überlastung, um nur die gängigsten zu nennen. In den mehrzügigen, oft bis zu zehn- oder fünfzehnzügigen Kombinationen der Meister finden wir Zugfolgen, in denen der Gegner meist nur unbeholfen reagieren kann, um das gerade Schlimmste zu verhindern: Erst eine Ablenkung vielleicht, dann ein Doppelangriff, gefolgt von einer Hinlenkung, plötzlich ist eine Figur gefesselt oder überlastet und eine Springergabel am Ende dieser wohl ausgeklügelten Angriffskaskade gibt dem Gegner den Rest. Zu beachten ist, daß Strategie und Taktik keine Gegensätze sind: Zwar ist der Einsatz taktischer Elemente meist auf Materialgewinn oder Mattangriff ausgerichtet, es ist aber durchaus möglich, daß am Ende der Kombinationskette „lediglich“ eine positionell gewonnene Stellung mit besserer Bauernstruktur oder eine theoretisch gewonnene Turmendspielposition steht.

Wir halten fest: ein Begriff („Das Motiv“) wird verwendet in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen. Wir könnten nun versuchen, eine gemeinsame begriffliche Klammer zu verwenden, indem wir den Begriff der Künste benutzen. Für Musik, Foto, Film, Malerei und Literatur ist dies angemessen. Auch Schach wird von nicht Wenigen wohl zu Recht auch als Kunstform betrachtet. Mit ein wenig gutem Willen kann man die Gattung Krimi noch dazu nehmen: Einem raffiniert ausgeklügelten Bankraub etwa, arbeitsteilig angelegt und mit geschickt eingestreuten Ablenkungsmanövern haftet etwas Künstlerisches an, man denke an den Fernsehfilm „Die Katze“ mit Götz George und Gudrun Landgrebe von 1988 oder den Fim „Inside Man“ von 2006 oder auch den einen oder anderen der Mission-Impossible-Filme. Und dann spricht man ja auch noch von der Kunst, sich nicht erwischen zu lassen – für einen Straftäter, der seine Karriere nachhaltig anlegen will, eine geradezu unerläßliche Kunst. Kriminelles als Kunst also: durchaus – sowohl in der artifiziellen medialen Verarbeitung wie mitunter auch in der Realität.

Das Motiv mithin ein Element in verschiedenen Kunstformen im weiteren Sinne.
Doch was – ganz genau gefragt - ist mit Motiv letztlich gemeint? Sehen wir uns den Wort-Ur-Sprung an, gehen wir also etymologisch vor. Das Wort Motiv läßt sich von dem lateinischen Verb movere ableiten: movere = sich bewegen. Dies ist keine Überraschung, denn das Wort Motiv-ation, ebenfalls auf movere zurückgehend, ist fester Bestandteil unseres Alltags. Wer motiviert ist, hat einen Antrieb zu handeln, sich zu bewegen. Ist der Antrieb nicht vorhanden, steht eine ganze Armada von Motiv-ationstrainern Gewehr bei Fuß, um nicht ausreichend Bewegte in die richtige Spur zu bringen. Den Ausruf „Tsjakkaa!!!“ des Motivationstrainers Ratelband aus den Neunzigerjahren, der zu frühmorgendlicher Begeisterung für die Herausforderungen des Tages verhelfen soll, haben wohl die meisten noch in Erinnerung.

Ein Motiv also als Antrieb sich zu bewegen. So weit, so gut. Die Lebens-Antriebe sind unterschiedlich, wie wir gesehen haben, kriminell oder künstlerisch, geschäftlich oder als ganz allgemeiner Bewegungsantrieb, wie mal ein Kabarettist formulierte, „zum Zwecke der eigenen Daseinsüberwältigung“. Ein Antrieb, sich zu bewegen, setzt also einen speziellen oder einen ganz allgemeinen Beweggrund voraus. Schreibt man „Beweg-Grund“, wird deutlicher, was darunter zu verstehen ist. Eine Grund-Lage muß da sein, sei es im Äußeren oder im Inneren, ein Bildmotiv, welches mit dem Seelenleben des Künstlers korrespondiert, als Schönes, Wahres oder auch beklagenswert Mitteilungsbedürftiges wahr-genommen und dann abgebildet oder filmisch und literarisch in Szene gesetzt wird, ein musikalisches Motiv, welches wiederholt, moduliert, erweitert, variiert oder sequenziert wird. Im Krimi ist die Seelenstruktur des Täters Grund-Lage seines Handelns, die Mordlust, Habgier oder anderes freisetzt. Im Schach wiederum kann Grundlage taktischen Handelns nur die konkrete Stellung mit ihren sich bietenden Möglichkeiten sein.

Verschiedene Handlungs-Grundlagen, verschiedene Beweg-Gründe in teils ähnlichen, aber auch Unterschiede aufweisenden Lebenszusammenhängen. Dabei könnte man es belassen. Man könnte aber auch fragen: Gibt es einen Grund für alle Bewegung? Gibt es gar einen „unbewegten Beweger“?

„Die alten Inder“ sprachen in der Bhagavadgita von den drei Gunas, drei Eigenschaften, welche der Urmaterie Prakriti und damit aller Materie anhaften sollen: Tamas (Trägheit, Dunkelheit, Chaos), Rajas (Rastlosigkeit, Bewegung, Energie) und Sattwa (Klarheit, Güte, Harmonie). Damit wäre auch der Mensch diesen Grundeigenschaften unterworfen und in gewissem Sinne „fremdbestimmt“, um einen modernen Begriff zu gebrauchen. Und wie überwindet man die Gebundenheit an die drei Gunas (so man denn will, natürlich, und sich nicht mit ihnen arrangiert!)?

Nach Sri Aurobindo ist eine wirksame Beeinflussung dieser drei Eigenschaften durch das Ich nicht möglich, da es selbst Teil der Prakriti und damit Teil der Gunas sei. Weiterhin heißt es, eine Beherrschung von Rajas, des Begehrens und der Leidenschaft, durch strenge Disziplin berge die Gefahr, dass neben einem stillen Frieden sich die Kräfte der Trägheit ausbilden und die positiven Kräfte der Dynamik verloren gehen.

Eine wirkliche Beeinflussung der Gunas könne demzufolge im Yoga nur durch den verborgenen Purusha (die Seele) erfolgen. Dazu müsse in einem Prozess des Yogas, der Purusha aus den Verwicklungen der Gunas gelöst werden und sich als stiller Beobachter über sie positionieren.

Er könne dann beobachten, wie die „Wellen“ der Gunas auf- und absteigen und lernen, seine eigene Natur zu verstehen. In einem zweiten Schritt würde es ihm dann möglich sein, diese Natur zu beeinflussen.

Über das rechte Verhalten gegenüber den Kräften der Gunas sagt Krishna in der Bhagavadgita:

„Wer, wo ein ‚Guna‘ ihm erscheint, Er darum diesen doch nicht hasst, Nach andern, ‚Gunas‘ nicht begehrt, im Geiste ruhig und gefasst; Wer gleichsam unbeteiligt bleibt, Bei eines ‚Guna‘ Gegenwart, Wer denkt, ‚ein Guna treibt sein Spiel‘, Und deshalb stets den Gleichmut wahrt; Wer standhaft ist in Freud und Leid, Wem gleich ist Scholle, Stein und Gold, Wer gleich sich bleibt, wenn man ihn schmäht Und wenn man ihm Bewund’rung zollt; Wem gleich ist Ehre oder Schmach, Ob Freund, ob Gegner unterliegt, Wer jeder Tat entsagt, der hat Der ‚Eigenschaften‘ Macht besiegt.“
Bhagavadgita (14.22–14.25)

(Kleiner Einwand: Das „jeder Tat entsagen“ in der oben zitierten, in eine Reimform gebrachten Übersetzung kann natürlich nicht wörtlich genommen werden, die innere Haltung ist entscheidend).

Sich aus den Verwicklungen der Gunas zu lösen und sich jedenfalls zeitweilig als stiller Beobachter über ihnen zu positionieren, wird also - unter anderem - von Sri Aurobindo empfohlen. Im Prozess der Meditation zumindest könnte dies sinnvoll sein, um mental neue Kräfte für den Alltag zu sammeln – und vielleicht in Kontakt mit einem „unbewegten Beweger“ kommen. (Literatur: Karlfried Graf Dürckheim: Meditieren - wozu und wie, 1976; Tobin Blake: Meditation, 2003; Marc Rosenberger: Einführung in die Meditation, 2009)

Weitere Details für Interessierte in wikipedia, Stichworte: „Motiv“, „Motiv Literatur“,„Schachmotiv“, „Guna“, weiterführende Literaturangaben siehe dort.

 

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