Liebe Schachfreunde,
als Euer Ostasien-Korrespondent übermittle ich von den schneebedeckten Hängen des Himalaya Grüße von Reinhold Messmer und bringe Euch ein Dokument zur Kenntnis, das - im sehr bescheidenen Maße - an den Handlungsplot des Filmes „Der Clou“ erinnert.

Der Text verknüpft so unterschiedliche Themen wie Kritik an Turbo-Kapitalismus und gesellschaftlicher Raffgier mit der Lösung technischer Randprobleme bei der Weizenkorn-Schachlegende und mit den kulinarischen Belangen einer Jahreshauptversammlung. Er ist damit durchaus zur Einstimmung auf unsere eigene Saisonabschlussveranstaltung (Donnerstag, 30.06.2016!) geeignet.

Die Geschichte verlangt vom Leser etwas Konzentration und räumliches Vorstellungsvermögen (kann man von Schachspielern verlangen!?), den Einsatz von etwa 15 bis 20 Minuten Lesezeit und wünschenswerterweise die Zügelung seiner Neugier und seines Bestrebens, durch übereiltes Scrollen die Schlusspointe voreilig zu konsumieren.

Aber bitte, lest selbst:

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Fast jeder Schachspieler kennt die Legende von den sich von Feld zu Feld verdoppelnden Weizenkornmengen, die sich der Erfinder des Spiels zur Belohnung erbeten hatte. Doch wie bekommt man eigentlich 4096 Weizenkörner auf das Feld b5, um nur ein Beispiel zu nennen? Die folgende Geschichte könnte eine Antwort bieten, wie das Problem zumindest technisch zu lösen gewesen wäre ...

 

Kassenwart Theodor B. erinnert sich ...

(Aus dem Vereinsarchiv des Schachklubs Laurel-and-Hardy-Krüger-Rand-Springer Somborn 64)

 

Das Olga-Benko-Gambit*
*Gambit vom italienischen „dare il gambetto“: ein Bein stellen, jemanden hereinlegen;
auch: ein geschickter Schachzug

oder
Invasion bei Karstadt:
Wie Somborns Siebte im Dach-Restaurant die Kühltheke leer plünderte

 

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Es war ein sonniger klarer Samstagmorgen gegen 9.15 Uhr im Dezember 2014, der letzte verkaufsoffene Samstag der Adventszeit. Wir wussten, Deutschlands Kaufhauschefs gierten danach, am traditionell wohl umsatzstärksten Tag des Jahres ihren Kunden soviel Kohle wie möglich aus der Tasche zu ziehen. Sie würden also auch in den Restaurants ihrer Häuser, die mittags proppenvoll werden würden, soviel Fressalien wie nur eben möglich in den Kühlschränken und -truhen eingelagert haben.


Beschwingt von dieser verlockenden Aussicht betrat unsere Achter-Truppe, Somborns Siebte, darunter auch ich, unauffällig in drei getrennten Gruppen die Rolltreppe nach oben: zwei in Business-Anzügen mit Buttons am Revers, auf denen in kleiner Schrift Fantasie-Namen und Logos gedruckt waren; zwei in etwas prolligem Räuber-Zivil mit großen Einkaufstüten, anscheinend gefüllt mit in anderen Häusern gekauftem Plunder; die letzten vier in Handwerker-Blaumännern, eine drei Meter lange durchsichtige Plastikröhre und eine Werkzeugtasche transportierend. Wenn jetzt das Sicherheitspersonal mit den Füßen auf dem Tisch in ihr Pausenbrot beißend der vier auf ihrem Bildschirm gewahr wurde, sollten sie etwa folgendes denken: Was sind das denn für Heinis, wo soll diese Röhre hin? Wahrscheinlich als Deko-Element in die Bettenabteilung, kommen Gänsekielfedern rein und werden 10-farbig angestrahlt und von unten mit Heißluft hochgewirbelt, zwei stellen auf und einer guckt zu, kennt man ja, konnten die nicht den Lastenaufzug ... ne, iss wohl zu lang, außerdem: die Knilche sind ziemlich geschickt beim Wenden auf der Rolltreppe, haben sogar rot-weiße Wimpel am Anfang und am Ende drangehängt, echte Profis ... heeeh, was ist das denn?? Schlägerei von zwei Besoffenen, direkt neben der Porzellanabteilung, nichts wie hin!!


Die zwei „Besoffenen“ waren natürlich Mannschaftsmitglied 7 und 8 (nachfolgend nenn' ich alle Mannschaftsmitglieder nur mit Zahlen, wollen die so haben, aus Datenschutzgründen wegen Angst vor Regressforderungen von Karstadt). Kurz bevor S1 und S2 eintrafen, hatten sich M7 und 8 anscheinend wieder vertragen und lagen sich gerührt in den Armen. „Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, dachte S1 angewidert, schob die beiden weg vom Meißner Porzellan und trollte sich mit seinem Kollegen wieder zurück in seine Überwachungskabine. - Die Röhre und ihre vier Begleiter waren inzwischen unbemerkt von den Sicherheitskräften eingetroffen - aber nicht in der Bettenabteilung sondern im Dachgeschoss-Restaurant!

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Das Restaurant proppenvoll, wie erwähnt, mit M3 bis M6 und der Röhre dazu umso mehr. M1 und M2 in ihren Business-Anzügen waren inzwischen dazugekommen und stellten sich unauffällig in einen ruhigen Winkel neben der Kühltheke. M3 bis M6, die vier „Handwerker“, brachten sich rund um die Röhre in Position. Ein letzter aufmunternder Augenkontakt untereinander, dann wurde es ernst. „Tschuldigung, dürfen wir mal?“ Zielstrebig bahnten sich zwei der „Blaumänner“ mit der Röhre einen Weg durch die Menge bis unmittelbar vor die Kühltheke, von den anderen beiden seitlich abgeschirmt. Ein stabiler kleiner Rollwagen wurde der vermeintlichen Werkzeugtasche entnommen, 10 cm hoch, die Holzfläche 40 mal 40 cm, unten drunter durch stählerne Röhren verstärkt. M3 nahm nun einen leeren sogenannten „Kleinen Teller“ mit 18 cm Durchmesser vom Buffet und hielt ihn mit bedeutungsvollem Blick für alle Kunden und Mitarbeiter gut sichtbar in die Höhe. Er sah dabei aus wie ein Zauberer auf der Bühne, der seine Zuschauer von der Harmlosigkeit seiner Requisiten überzeugen will, „ein handelsüblicher hauseigener „Kleiner Teller““ schien sein Blick zu sagen, „einer von der Sorte von Tellern auf dem wir alle - ihr und ich - schon mal je nach Dreistigkeit einen mehr oder weniger hohen Berg an Fressalien aufgehäuft haben und damit mehr oder minder schambehaftet zur Kasse getigert sind“.


M3 stellte den Teller auf den Boden in der Mitte des Rollwagens, wonach M4 den Teller von außen und unten sogleich mit schnell härtender Silikonmasse umrandete, so dass jeder Punkt der Tellermulde nach außen und unten perfekt auf dem Rollwagen abgestützt war und damit ein beträchtliches Gewicht tragen konnte ohne zu zerbrechen. Sofort danach hoben M5 und M4 die durchsichtige Plastikröhre in die Senkrechte und setzten die untere Öffnung über den Tellerrand. Sie passte perfekt. M3 stellte die Stehleiter auf und kletterte nach oben, während M6 sich die große Schüssel mit Quark von der Vitrine angelte, Obst dazu gab und verrührte, die Schüssel M3 hochreichte, der den Inhalt aus 3 m Höhe in die obere Öffnung der Röhre kippte. Der Inhalt rutschte langsam nach und bildete über dem „Kleinen Teller“ eine Erhebung von etwa 30 cm. Die Röhre war somit zu zehn Prozent gefüllt. M6 klopfte nun mit seinem Löffel an die Glasvitrine. „Kundschaft! Ist hier jemand zuhause?“ rief er. „Wir hätten gerne noch deutlich mehr Quark und mehr Früchte, wenn's recht ist!“

***

Die gesamte Aktion – zu Hause mehrfach geübt – hatte kaum mehr als 90 Sekunden gedauert, dem fassungslosen Personal stand buchstäblich noch der Mund offen vor Staunen, den meisten Kunden ging es genauso. S1, die hauseigene Sicherheitsfachkraft, war der reaktionsschnellste, wie es sich für einen Angehörigen seiner Branche geziemt. In Windeseile stürzte er die vier Rolltreppen nach oben, sobald er auf dem Monitor gesehen hatte, wie M3 die Röhre mit Quark füllte, statt auf der Leiter stehend etwa Glühlampen auszutauschen, wie es sich für einen mutmaßlichen Handwerker gehört. Schwer atmend kam er vor der Leiter zum Stehen. „Sofort, sofort ....“ keuchte er. „... runter von der Leiter!“ sollte sein Satz wohl weitergehen. Doch er kam nicht mehr dazu. M2 stellte sich vor ihn und zeigte auf seinen Button am Revers seines Nadelstreifenanzugs: „Karstadt Group Quality Management“ war zu lesen. M2 raunte ihm halblaut zu: „Überlegen Sie gut was Sie tun, junger Mann! So wie ich die Sache sehe, wollen eure Chefs rausfinden, wie weit die Mitarbeiter bestrebt und fähig sind, auch ausgefallene Kundenwünsche zu erfüllen. Aber bitte, Ihre Entscheidung!“


S1 schluckte. Ein Albtraum das Ganze. Offensichtlich stand da vor ihm einer aus der mittleren Führungsebene des Gesamtkonzerns, in diesen Test eingeweiht und wohlwollend genug, ihn nicht ins offene Messer laufen zu lassen. S1 kratzte sich am Hinterkopf. M2 blinzelte ihm bekräftigend zu und machte mit beschwörendem Blick eine Kopfbewegung zu der Servicekraft, die nach M6´s lauten „Kundschaft!“-Rufen hinter der Kühltheke aufgetaucht war. „Kuuuundschaft!!“ wiederholte M6. „Ah da sind sie ja, junge Frau. Wir möchten gerne unseren Teller füllen“ – er zeigte auf den „Kleinen Teller“ auf dem Boden des Rollwagens – „und benötigen dafür ein klein wenig Nachschub, also wenn sie so freundlich wären und uns aus ihren sicherlich wohlgefüllten Vorratsräumen da hinten ...“ Olga K., der Servicefachkraft, stand der Mund weit offen. Sie war Mitte 40, hatte schon viel erlebt in der Gastronomie, aber das hier ... Dann erblickte sie S1, der ihr unauffällig Zeichen zu geben schien, die sie nicht verstand. Beide kannten sich, ein kleines Techtelmechtel nach der letzten hausinternen Weihnachtsfeier, und so fiel ihm schließlich ein, dass sie Lippenlesen konnte. Er versuchte es, langsam, lautlos und deutlich artikulierend – es klappte. „Hausinterner Mitarbeitertest auf Kundenfreundlichkeit“ las sie. „Nun, junge Frau, darf ich denn bitten“ legte M6 jetzt nach. „Oder wollen sie etwa behaupten, Ihr Quark, ihr Obst sei schon ausverkauft??“


„Äh, nein,nein, natürlich nicht.“ Mit ratlosem Blick verschwand Olga, die Servicefachkraft, im Kühlraum und kehrte Sekunden später mit einer neuen großen Glasschüssel zurück. Schnell waren neue Früchte untergerührt, die Schüssel wurde hochgereicht und eingefüllt. Langsam rutschte und sickerte der Inhalt in der durchsichtigen Plexiglasröhre nach unten. „Offensichtlich noch nicht voll der Teller“ stellte M3 oben auf der Leiter ungerührt fest. „Am besten bringen sie die nächsten Schüsseln unaufgefordert sofort hintereinander ... und die Früchte-Schüsseln sind auch gleich leer“. Die Servicekraft war bleich im Gesicht, sie schluckte. Inzwischen war der Gastronomie-Chef aus seinem Büro herbeigeeilt und versuchte die Situation zu erfassen, sah die Glasröhre, die Stehleiter, hörte das Raunen und Tuscheln der Gäste im Hintergrund. Der von M2 „eingeweihte“ S1 stellte sich neben ihn, raunte ihm ins Ohr: „Hausinterner Mitarbeitertest auf Kundenfreundlichkeit“ vernahm er. Schräg gegenüber standen M1 und M2 in Nadelstreifen. Er las die Worte „Quality“ und „Management“ auf dem Button an M2's Revers, bei M1 gar irgendwas mit „Internal Affairs“. M1 und M2 hatten sich in ihren Business-Anzügen scheinbar lässig an eine Wand gelehnt und grinsten den Gastro-Chef fröhlich an. „Servus, Herr Kalweit!“ rief M2 ihm zu, griff in seine Jackett-Innentasche, holte einen zerknautschten grünen Filzhut heraus, glättete ihn und setzte ihn lächelnd auf. Der Gastro-Chef zuckte zusammen. Seine nun folgenden „inneren neuronalen Abläufe“ stelle ich – Theodor - mir etwa so vor: Der Unbekannte kannte seinen Namen. Er sprach unverkennbar mit Wiener Akzent. War er etwa direkt aus der Führungsetage des neuen österreichischen Karstadt-Eigentümers zu Testzwecken unterwegs? Dieser Filzhut ... na klar, ein Tirolerhut! Und in Tirol, in Innsbruck, war der neue Groß-Investor von Karstadt, René Benko, ein rechtskräftig verurteilter Wirtschaftsstraftäter übrigens, geboren worden, hatte neulich erst im Focus gestanden ... Das mit dem Hut konnte kein Zufall sein, war ein letztes Signal an ihn: Sei auf dem ... ach was, sei auf der Hut!!

Der Gastro-Chef wusste von einer Entlassungswelle ungeahnten Ausmaßes, die dem Konzern anscheinend bevorstand. War er der Nächste auf der Liste? Blitzschnell ging er im Geiste Pro und Kontra durch. Hatte man von ihm sofortiges hartes Durchgreifen erwartet, ein brüskes Verweigern gegenüber solch unzweifelhaft mehr als dreisten Kunden, dann wäre es nun schon zu spät, die Plexiglasröhre über dem Teller war bereits zu 20 % gefüllt. Bräche er jetzt ab, so machte er sich lächerlich. „Ein bisschen spät, Herr Kalweit, meinen Sie nicht auch?“ würde ihn dieser Österreicher später in seinem Büro fragen und dabei vielleicht sogar mit einem maliziösen Lächeln auf den Lippen die Füße auf seinen, Horst-Dieter Kalweits, Schreibtisch legen. „Sie lassen Kunden in Ihrem Restaurant auf Stehleitern steigen und schüsselweise Früchtequark aus Ihren Vorratskammern in eine meterhohe Plastikröhre schaufeln? Bittschön, was soll ich Ihrem Filialleiter sagen, wenn der mich fragt, ob Sie Ihrer Aufgabe gewachsen zu sein scheinen, Herr Kalweit?“ Ausgeschlossen! Kalweit straffte sich und atmete einmal tief durch. Er musste alles auf eine Karte setzen. In einem Anflug von Euphorie, den seine Stresshormone auslösten, sah er sich plötzlich als „Mitarbeiter des Monats“ in der Karstadt-Hauspostille gewürdigt. Die Schlagzeile „Von wegen Service-Wüste Deutschland: Karstadt-Gastro-Chef Kalweit erfüllt auch ausgefallenste Kundenwünsche“ stand vor seinem geistigen Auge. Genau! So würde, so musste es kommen, das wollten die da oben jetzt von ihm sehen: Soweit also meine – Theodors - unmaßgebliche Mutmaßungen zum Innenleben des Gastro-Chefs. Der „Österreicher“, unser M2, grinste Kalweit noch immer an, tippte grüßend mit dem rechten Zeigefinger an seine Hutkrempe, Olga, die Servicefachkraft, wartete mit bangem Blick auf ein Zeichen von ihm. Bestätigend nickte er ihr zu und zog sich unauffällig – und im völligen Einklang mit unseren Plänen! - in sein rückwärtiges Büro zurück um den weiteren Verlauf über die Bilder auf dem Monitor zu verfolgen, die die Hauskameras lieferten.

***

Als Olga, die Servicefachkraft, das Okay Ihres Chefs erhalten hatte, leistete sie keinen Widerstand - auch keinen passiven - mehr, sondern schaffte zügig immer neue Schüsseln mit Quark und Früchten aus dem riesigen Vorratsraum herbei. In wenigen Minuten war die gesamte Röhre gefüllt. M3 stellte noch acht Becher auf ein Tablett, goss Kaffee ein und trug sein Tablett Richtung Kasse. M4, 5 und 6 folgten, indem sie den Rollwagen langsam voranschoben. „Ja, acht Tassen Kaffee erstmal, was macht das?“ „Achtmal Einssechzig, das macht zehn Euro achtzig“ antwortete die Kassiererin, aus den Augenwinkeln verschreckt den Rollwagen ins Visier nehmend. „Zehn Euro achtzig, genau“ sagte M3, „ja und dann haben wir noch, ähem, diesen „Kleinen Teller“ Früchtequark für zwei Euro fünfzig, macht ja dann zusammen dreizehn Euro dreißig, nicht wahr?“ Über die Kassiererin hinweg starrte er auf das Plakat an der Wand gegenüber („Nur zufriedene Kunden kommen wieder“ stand da) und wartete seelenruhig. Der Blick der Kassiererin wanderte ungläubig über die drei Meter hohe Plastiksäule auf dem Rollwagen. Drei Meter Höhe, das war übrigens die Kompromisslänge gewesen, auf die man sich mannschaftsintern geeinigt hatte. M8, der nie den Hals voll kriegen konnte, hatte argumentiert, man könne auch drei Meter fünfzig nehmen, wenn man die Zwischendecke im Restaurant aushinge, er hatte bereits weitere Befürworter auf seine Seite ziehen können, war dann aber mit 4 ½ zu 3 ½ ... ach was, geht ja gar nicht, denke immer noch an den letzten Mannschaftskampf... war dann aber mit 5 zu 3 knapp überstimmt worden.

Vor den Augen der Kassiererin also eine drei Meter hohe Plastikröhre, gefüllt mit Früchtequark, die Röhre an drei Seiten mühsam gestützt von M4, 5 und M6, das Ganze stehend auf einem stahlrohrverstärktem Rollwagen. Nur bei genauem Hinschauen war der Rand des silikonunterfütterten „KleinenTellers“ auf der Rollwagenplattform zu erkennen. „Aber, aber diese, diese riesige Röhre“ wagte die Kassiererin endlich anzumerken. „Was haben Sie, ich meine, Sie können doch nicht einfach eine meterhohe Röhre auf einen kleinen Teller ... das macht doch gar keinen Sinn...“ „Oh, das macht sehr wohl Sinn“ konterte M3, der Vierte des Quartettes in Blaumännern, fasste die Kassiererin dabei scharf ins Auge und erhob seine Stimme so laut, dass jeder Gast ihn hören konnte. „Ich möchte sogar behaupten, dass unsere kleine Aktion sich sowohl als sinn- als auch als zweckbehaftet erweisen wird. Oder glauben Sie etwa, dass eine drei Meter hohe Anhäufung von Früchtequark auf so einem kleinen Teller einfach so liegen bleiben würde ohne wegzurutschen, wenn wir n i c h t im Vorfeld zum Schutz einer solch sensiblen beweglichen Masse eben diese Umfriedung in Form einer Röhre über dem Teller installiert hätten? Glauben Sie das etwa allen Ernstes??“


Der Blick der Kassiererin hatte während M3's Erwiderung vom nervös Flackernden ins Ungläubige gewechselt, nun ging er resignativ ins Leere. Zum Glück war gerade der Gastro-Chef wieder aufgetaucht und hatte ihr bestätigend zugenickt. „Ja gut, also acht Kaffee und ein ... ein „Kleiner Teller“ Früchtequark, macht zusammen Dreizehndreißig“ murmelte die Kassiererin ohne M3 dabei anzuschauen. Der gab sich generös und reichte ihr einen Zehner und einen Fünfer. „Bitte tun sie die Einssiebzig Wechselgeld in ihre Personal-Kaffeekasse!“.

***

Mit dem Kaffeetassentablett und dem Rollwagen steuerten unsere Acht – M7 und 8 waren inzwischen aus der Porzellanabteilung dazugestoßen - nun auf mehrere zusammengestellte Tische im hinteren Restaurantteil zu. Dort saßen bereits 32 Somborner Vereinsmitglieder bei ihrer jährlichen Mitgliederversammlung, jeder hatte schon eine ausgetrunkene Kaffeetasse vor sich stehen. Die Plastikröhre wurde jetzt waagerecht auf die zusammengestellten Tische gelegt. Mit langen Fonduelöffeln von den beiden offenen Röhrenenden aus schaufelten M7 und M8 allen nunmehr vierzig Anwesenden reichlich Früchtequark auf ihre Untertassen. Der Vereinspräsident klopfte kurz mit dem kleinen Löffel an seine Tasse und erhob sich. „Greift reichlich zu, liebe Mitglieder, es ist wahrlich genug da. Bei einem einzigen Nachschlag muss es nicht bleiben, wie ihr seht. Wir danken dieses Jahr unserer Siebten für die besonders kreative Umsetzung der ihr gestellten Aufgabe: „Wie versorge ich die Mitglieder bei der Vereinsversammlung mit vitaminreicher und eiweißhaltiger Kost bei größtmöglicher Schonung von Vereinskasse und privaten Geldbörsen“. Im nächsten Jahr ist die Sechste zur gleichen Tat aufgerufen. Ich fürchte aber jetzt schon, dass die heutige Glanzleistung unserer Siebten kaum zu toppen sein wird! - Kommen wir nun zu Tagesordnungspunkt 1 ...“


Als die Versammlung sich zwei Stunden später auflöste, war der Karstadt-Crew wohl inzwischen klargeworden, dass sie hereingelegt worden war, man hatte bestimmt diskret herumtelefoniert und im Netz gegoogelt, alles aber ohne schlafende Hunde zu wecken. Aus Angst vor der Presse und der Konzernspitze – und vor allem vor René Benko, dem Groß-Investor - wagten sie sicher nicht, jemand von uns acht aktiven Tätern, unserer Siebten nämlich, festzuhalten und wegen Nötigung, Betruges oder Erschleichens von Leistungen anzuzeigen. Nur die Sicherheitsfachkraft S1 trat ganz nah an unseren M2 heran, als der die Rolltreppe nach unten betreten wollte. M2 hatte bekanntlich den „Quality Manager“ mit Tirolerhut aus Österreich gespielt. „Dein Gesicht merk ich mir, du mieser Hund“ zischte S1 unserem M2 kaum hörbar ins Ohr. „Trau du dich bloß noch mal in unser Haus, dann wird mir schon was Nettes einfallen, wir schmuggeln dir silberne Löffel aus der Haushaltsabteilung in deine Hosentaschen und nehmen dich hopp!“ – „Klingt wie ne Art Hausverbot, wie?“ erwiderte M2 gelassen. „Nenn es wie du willst, wir spaßen nicht. Noch mal zieht ihr so eine Nummer hier nicht mehr ab, verlass dich drauf!“ M2 aber lachte nur ungerührt und rollte auf der Treppe nach unten: Wohlweislich hatte der Verein nicht in Dortmund getagt, sondern seine Jahreshauptversammlung mit einem Betriebsausflug verbunden. Zu einer Karstadt-Filiale im Rheinland nämlich, da hat man so schnell kein Auswärtsspiel als Dortmunder Mannschaft!

So, nun kennt ihr in etwa die Antwort auf unsere Eingangsfrage: Wie kriege ich 4096 Weizenkörner auf das Feld b5? Nicht ganz einfach so eine Aktion, aber es geht ... Und welcher von den Acht war ich nun von der „Siebten“? Spielt keine Rolle, Hauptsache, ich war dabei und konnte berichten!

Mit den besten schachlichen Grüßen

Euer Theodor

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